Dreizehnter Tag - Sonntag, der 28.8.94

Etappe 12
Von Jennersdorf im Raabtal
Nach Aigen
Über Windisch-Minihof, Minihof-Liebau, Tauka, Kalch, Sichauf, St. Anna am Aigen
Distanz ca. 30 (34) km
Bemerkung

Morgens sehr viel Tau. Das Außenzelt ist innen klatschnaß. Gegen 11 Uhr weiter. Die Wettervorhersage hat einen heißen Tag angekündigt, und so ist es. Versuchen, noch soweit als möglich zu kommen, bevor es zu heiß wird. Fahren von Jennnersdorf die Bundesstraße 57 Richtung Feldbach. Diese biegt hinter Jennersdorf links ab und führt über die Raab. Hier weiter auf der Straße "58" Richtung Slowenien / Bonisdorf. Fahren bis kurz vor Bonisdorf. Hier rechts ab Richtung Neuhaus am Klausenbach / Kalch. Folgen dieser Nebenstraße zuerst auf einem Höhenrücken mit wunderbarer Aussicht, dann hinab und im Tal weiter bis Kalch. Hier weiter Richtung St. Anna am Aigen. Es geht in ein schmales Tal hinein, teilweise unmittelbar an der Grenze zu Slowenien entlang. Ein Nebental öffnet sich nach links. Hier ist ein Grenzübergang nach Slowenien für Fußgänger und Radfahrer, geöffnet von 9 bis 19 Uhr, welcher auf der Karte nicht eingezeichnet ist. Das Tal verengt sich und endet. Nun geht es steil den Berg hinauf bis nach Sichauf. Hier am Scheitelpunkt links ab zum ausgeschilderten Buschenschank Franz Hackl hinauf.

Mittagsrast nach 27 km im Buschenschank. Am höchsten Punkt eines Hügels gelegen, mit schöner Aussicht. Typische Jausen. Speise geräucherte Schweinszunge mit Essig und Öl, Elke nimmt die allseits beleibende Brettljause zu sich. Das typisch steirische, hellgrüne, sehr dickflüssige Kürbiskernöl wurde verwendet. Es wird aus getrockneten, gemahlenen und trocken erhitzten und dabei gepreßten Kürbiskernen gewonnen und hat einen etwas strengen, herausragenden Eigengeschmack. Zum Trinken ein Glas Zweigelt rosé. Der Zweigelt ist eine im Steirischen verbreitete Rebsorte und wird rot oder rosé ausgebaut. Der Wein schlägt hammerartig zu: ich werde sehr müde und muß mich im lauschigen Gastgarten unter einem Weinlaubdach ins Gras legen und ein Nickerchen machen.

Vorher lange "Unterhaltung" mit einem Einheimischen. Große Verständigungsschwierigkeiten: er spricht nur Dialekt, nuschelt etwas und ist wohl nicht der hellste im Kopf. Außerdem setzt ihm zunehmend der Wein zu, welchen er zwar nur als "Mischung", also Wein mit Mineralwasser, dafür aber in großen Mengen zu sich nimmt. Die Sache weitet sich aus: nacheinander treffen sein Schwiegervater und der Schwager des Schwiegervaters ein, beide schon im Greisenalter. Der Schwager beginnt eine hartnäckige Unterhaltung, die wieder stark strapazierend ist: Dialekt, Schwerhörigkeit und beginnende Verkalkung wirken aufs trefflichste zusammen. Er war früher "Finanzer" und ist anscheinend durch die tatkräftige Unterstützung der deutschen Wehrmacht etwas in der Welt herumgekommen. Das Deutschlandlied hat er noch gut in Erinnerung und kann auch noch die Melodie. Als ich auf seine Frage, wo wir heute nächtigen werden, mit "vielleicht im Weinberg" antworte, ist es ganz aus. Ich muß das mehrmals wiederholen, und dann versucht der gute Mann die nächste Viertelstunde, in den Gehirnwindungen, in welchen seine geographischen Kenntnisse gespeichert sind, etwas über den Ort (!) Weinberg in Erfahrung zu bringen. Er stellt auch diesbezügliche Fragen. Alle Versuche, ihm zu erklären, daß mit "Weinberg" wirklich ein Weinberg gemeint ist, scheitern. Ich möchte ihm aber auch nicht erläutern, daß dies nur eine etwas flapsige, nicht ganz ernst gemeinte Antwort war. Wir beschließen, aufzubrechen. Als wir gehen, sitzt er immer noch da, schüttelt den Kopf, und murmelt "Weinberg, Weinberg" vor sich hin.

Wir fahren zurück zur Kreuzung, und die Straße weiter, bis wir auf die von Bad Gleichenberg kommende, nach St. Anna am Aigen führende Straße treffen. Mit "Sichauf" ist die Straße, welche wir gerade gefahren sind, beschildert. Wir fahren links. Vor St. Anna rechts ab in den Ort hinein. Direkt an der Kreuzung die Pension Schäfmann. Kurze Ortsbesichtigung, zwei Wanderer kommen uns entgegen. Der Ort liegt hübsch auf einem schmalen Hügelkamm: Links und rechts eine Reihe Häuser, dazwischen die Hauptstraße und hinter den Häusern gehts schon den Hang hinunter. Am Ende wird der Ort durch eine Wehrkirche gegen die Türken mit Kirchplatz abgeschlossen. Wir fahren wieder zurück mit dem Gedanken, vielleicht in obiger Pension zu Übernachten. Vor der Haustür sitzt das Wandererpärchen und teilt uns mit, daß die Hausherrin momentan abwesend wäre. Es wären keine Zimmer frei, aber man könnte uns weiter vermitteln. Wir warten. Frau Schäfmann trifft ein. Sie telefoniert mit unserer potentiellen Wirtin, erreicht aber nur dortige Gäste. Rückruf soll erfolgen, Zimmer wären aber frei. Wir warten. Nach einer halben Stunde beschließt Frau Schäfmann, die Wanderer zur Pension zu fahren. Wir fahren mit dem Rad hinterher, den Berg hinunter, an einem Autohaus vorbei, bis nach Aigen, und dort zum Ortsende. Das letzte Haus links ist die Pension Gangl.

Wir warten im Garten, nach einer halben Stunde ist Familie Gangl vom Feuerwehrfest zurück, und wir nehmen Quartier. Wir teilen unser Zimmer, welches ein "Vorzimmer" in Gestalt eines weiteren Zweibettzimmers hat, mit einer Bande von "Gelsen", jenem Tier, welches bekanntermaßen südlich des Semmerings Touristen jagt und ebenfalls südlich des Semmerings Touristen als Personen definiert, welche Gelsen jagen. Den im Zimmer vorhandenen chemischen Tod aus einem Elektroverdampfer, welcher ständig Insektizide abgibt, nehmen wir trotz Empfehlung der Wirtin nicht in Betrieb, was mir die Frage einbringt, ob ich vielleicht empfindlich gegen den Wirkstoff wäre.

Auf dem Balkon mit schönem Blick, leider auch auf die Durchgangsstraße, verweilen wir kurze Zeit. Dann gehts nach dem Duschen zwecks Nahrungsaufnahme zu Fuß zurück Richtung St. Anna, dann links hinunter Richtung Plesch, um uns im Buschenschank Pfeifer an einer Brettljause um 40 Schilling zu laben. Die zwei Jausen hätten auch für drei gereicht. Alles, was der Weinbauer selber macht, ist vorhanden: Schweinebraten, Geselchtes und Geräuchertes, und frisch geriebener Kren. Davon lasse ich mir eine Extraportion bringen. Der offene Weiße ist süffig, der Welschriesling etwas herber, geht aber auch gut runter. Gegen 11 Uhr machen wir uns auf den ca. 2 km langen Rückweg, um die Gelsen noch vor Mitternacht zu treffen. Die sitzen schon vor dem Fernseher im Zimmer und warten auf uns. Na dann, gute Nacht.