Fünfzehnter Tag - Dienstag, der 30.8.94
Gelsenjagd um 2 Uhr und um 4 Uhr. Standhafte Weigerung, den chemischen Tod einzuschalten. Heute Abend beim Abendessen wird mir einfallen, daß ich eine Flasche Autan dabei habe! Leider zwei Tage zu spät! Frau Gangl leistet uns wieder Gesellschaft beim Frühstück. Ihre zwei Söhne sind schon aus dem Haus, ihr Mann ist als Maurer und Fließenleger Wochenpendler zu einer Firma in Graz, welche ihm auch ein Zimmer zur Verfügung stellt. Am Wochenende wird dann gemeinsam am Erhalt der Subsistenzwirtschaft gebastelt. Sie haben Schweine (zur Zeit nur 13 wegen des Geruchs und der Gäste), schlachten vier mal im Jahr selbst und wursten und selchen. Vom eigenen Kürbisfeld kommen die Kerne fürs eigene Öl, weitere Felder sorgen für Viehfutter (Mais) und Kartoffeln. An Lebensmitteln wird nur gekauft, was sie nicht selbst produzieren. Der Mann sorgt für die stetige Erweiterung des Hauses. Ein Anbau für weitere Gästezimmer ist außen komplett fertig, es fehlen noch die Fenster und der Innenausbau. Am Wochenende besteigt er den eigenen Traktor für die Felderbewirtschaftung. Unter der Woche sorgt Frau Gangl für die Gäste und die Bewirtschaftung der Felder. Als vor 3 Jahren der Jugoslawienkonflikt begann, waren in den Zimmern zahlende Offiziere des ÖBH einquartiert, im Hof zeltete das Fußvolk und benutzte die Dusche im Keller. Dafür gabs eine Urkunde für "herausragende Leistungen bei der Grenzsicherung", im Flur der Gangls zu besichtigen. Damals wurde an der Grenze geschossen, auch nach Österreich herüber, und der slowenische Teil von Radkersburg wurde durch Beschuß in Mitleidenschaft gezogen. Zur Zeit unterstützt das österreichische Radkersburg finanziell die Wiederherstellung des slowenischen Teils. Wieder zweifelhaftes Wetter, aber warm mit 24 Grad. Wir fahren um 13 Uhr los, und hügelig bergab geht's auf der Hauptstraße Richtung Radkersdorf bis Deutsch-Haseldorf. Hier ein kleiner Umweg über den Berg nach Klöch. Der vor allem für seine Traminer bekannte Weinort liegt im Tal und gibt als Ort nicht sonderlich viel her. Weiter geht's ins Tal hinab und nun durch die Murebene nach Radkersburg. Barockes Städtchen mit einem schönen Hauptplatz. Dort steht eine Mariensäule oder Pestsäule aus dem 17. Jhd., ca. um 1660 errichtet. Es versammeln sich Bürgerhäuser mit Fassaden der unterschiedlichsten Baustile: vor allem Barock, aber auch der eine oder andere Renaissancebau, etwas Biedermeier und Jugendstil. Das ganze Städchen wirkt verschlafen, von der nahen Grenze samt Übergang ist nicht viel zu spüren. Ab und an ein Auto mit slowenischem Kennzeichen. Wir gehen in ein Kaffeehaus und beschreiben die soeben gekauften Postkarten. Gegen 17 Uhr brechen wir wieder auf. Zurück gehts auf der Hauptstraße über Neudörfl und Dornau. Bei Halbenrain wieder auf Nebenstraßen über Drauchen und Tieschen bis Pichla. Bis hierher im Mur-Tal und im Pleschbachtal. Hinter Pichla Aufstieg nach Deutsch-Haseldorf. Am Ortsende rechts weist ein Wegweiser zum Königsbergdenkmal und zu einer prähistorischen Siedlung. Ich überrede Elke, von den jetzigen 270 hm zum Gipfel auf knapp 500 hm auf Schotterwegen und schlechten, ausgefahrenen Waldwegen zu fahren. Erst moderat hoch bis zu einer Vorhöhe, dann in Serpentinen und sehr steil durch Eichenwald zum Gipfel. Oben weist ein Denkmal auf eine Ansiedlung aus der Urnenfelderzeit um 900 v. Chr. hin, welche in stadtähnlicher Form das ganze, nicht gerade kleine Gipfelplateau des vulkanischen Königsberges bedeckt hatte. Von den vermerkten sichtbaren Überresten stellen wir bei einem Rundgang, der uns im wesentlichen am Rand des Geländes entlang führt, nichts fest. Bestenfalls ist eine Umwallung zu erahnen. Dennoch scheint sich mir die Stimmung des Terrains mitzuteilen. Auch heute noch wirkt dieser Ort erhaben und wie eine Zuflucht. Das war er in früheren Zeiten auf Grund seiner herausragenden, nach Rodung von allen Seiten leicht zu verteidigenden Lage. Das Plateau bricht an den Rändern steil ab. In der Mitte der damaligen Ansiedlung muß ein wahrscheinlich religiöses, burgartiges Zentrum gelegen sein. Wir wissen nicht, wo das war, aber an einer lichten, von besonders großen Eichen bewachsenen Stelle spüre ich Ruhe und Erhabenheit. Ähnlich ist es mir nur an einer Stelle bei Filitosa auf Korsika ergangen, einer ebenfalls prähistorischen Siedlungsstätte. Dort verspürte ich auch die weihevolle Stimmung dieses Ortes. Der Umweg hat einiges an Zeit gekostet, und es beginnt zu dunkeln. Wir fahren zurück zur Straße und weiter nach Deutsch-Haseldorf. Hier Abendessen im Weinlandhof. Sehr empfehlenswertes Restaurant, dennoch bodenständig und gemütlich. Ich esse eine Schwammerlsuppe aus Waldpilzen mit fein säuerlichem Weingeschmack und als Einlage "Heidensterz". Der wird in einer eigenen Pfanne serviert und wird zur Suppe gegeben. Es sind dies kleine graue, gekochte und dann in Fett angeröstete Buchweizenmehlbällchen ohne jeglichen Eigengeschmack. Danach gibts Suppenfleisch (gekochtes , gut abgehangenes Rindfleisch) in der eigenen Brühe. Dazu Apfelkren. Für meinen Geschmack mit zuviel Apfel. Die noch zu radelnden 4 km ohne nennenswerte Steigung legen wir in beschaulicher Stimmung zurück. Es ist inzwischen stockfinster und aus dem Wald sind allerlei merkwürdige Geräusche zu hören. Eine Fledermaus streift fast Elkes Ohr. Im Ort Aigen, eigentlich einer losen Ansammlung von Häusern ohne Ortskern, gibt es keine Straßenbeleuchtung, und so bleibt es bis zur Pension eine stimmungsvolle Fahrt. Wir sprühen uns mit Autan ein und lassen die Balkontür offen, um den Test für die Wirksamkeit des Mittels zu verschärfen. Der Ausgang des Tests ist positiv. Unbehelligt schlafe ich bis gegen 5 Uhr. Dann hilft eine weitere Dosis Autan weiter. |
© U. Korndörfer |